Tanz des Monats Juli 2022:
Die (Contredanse) Anglaise oder Angloise oder Englischer (Modetanz im 18. Jahrhundert)
Durch die Wiederentdeckung alter Handschriften mit Tanznoten sind inzwischen auch Melodien zu englischen Tänzen im spielerischen Gebrauch. Vivien hat für diesen Monat eine Angloise aus dem Wernigeroder Tanzbüchlein gewählt und daher möchte ich einige Worte zu der Tanzform der Anglaise hier verlieren. Die Anglaise war ein Modetanz in Deutschland und Westeuropa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und bezeichnet eine Kontratanzform aus England mit zwei Reihen von Männern und Frauen. Wie bei vielen populären Tänzen kam diese Tanzform über Paris zu uns und nicht direkt aus England, und daher kam auch die französische Bezeichnung Anglaise, bzw. Contredanse als Adaption des englischen Countrydance – wie er zuerst in England von John Playford im 17. Jh. gedruckt wurde. In zeitgenössischen Beschreibungen heißt es zum Contredanse:
„Die englischen Tänze werden gemeiniglich die englischen Sesjen oder Contre Tänze genennet, sie werden sowohl bey Hoefen, großen Bällen als Hochzeiten, nach dem Menuett am meisten getanzet.
(Christoph Gottlieb Hänsel, Universitätstanzmeister in Leipzig 1755)
Der Contretanz (Anglaise, Countrydance, Englischer Tanz), hat gleichfalls einen lustigen Charakter und ist der unendlichen Abänderungen fähig. Die Musik ist bald im geraden, bald im Trippeltakt gesetzt, die von der letztern Art finden jetzt hauptsächlich Beifall. Jeder Theil hat acht Takte, wie beim Cotillon; ohne Trio paßt sie zu vier Touren, mit Trio zu sechs oder acht. Die Anzahl der Personen bei diesem Tanze ist gänzlich unbestimmt, und die Kolonne kann bis zum Ermüden groß werden. Herren und Damen rangiren oder ordnen sich einander gegenüber en haye. Das erste Paar fängt die Touren an, die so eingerichtet sind, daß es nach Endigung des Tanzstückes um eine Stelle in der Kolonne hinunter kommt, und endlich das letzte Paar wird. So wie die folgenden Paare herunter tanzen und die vorgemachten Touren nachahmen, rückt das erste wieder hinauf, und kommt am Ende wieder oben, da es von der Colonne abtreten kann. Eher abzutreten ist wider die Höflichkeit, weil dadurch die übrigen Paare einige Touren verlören; es ist auch nicht mehr als billig, daß ich dem, der mir als Figurant zur Vollendung meiner Touren gedient hat, wieder als Figurant diene. Es läßt sich hierüber, so wie über das Vordringen nach den ersten Plätzen, über das unordentliche Stehen in der Kolonne etc. sehr wenig sagen. Zu den Eigenschaften einer guten Anglaise gehört 1) daß die Musik hebe, d. h., einen merklichen Rhythmus habe, und von munterer Melodie sey. 2) Daß die Touren der Musik gehörig angepaßt, nicht zu lang und nicht zu kurz seyen; 3) daß sie gehörig in einander greifen, und die vorhergehende gleichsam die folgende vorbereite; 4) daß die Figuranten nicht ganz müßig stehen, sondern soviel, als möglich, mit ins Spiel gezogen werden.
(Oekonomische Encyklopädie von J. G. Krünitz (1773-1858 in 242 Bänden))
Das Interessante an dem englischen Tanz war die Gleichberechtigung aller Tänzerinnen und Tänzer. Jeder kam mal an die führende Position und konnte den Tanz bestimmen und es waren eine Menge Tänzerinnen und Tänzer am Tanz beteiligt. Dies wurde dem damaligen Zeitgeist, besonders auch in Frankreich sehr gerecht und so war der Tanz auch eine Vorbereitung und Begleiterscheinung der französischen Revolution von 1792 mit den Forderungen nach Egalité, Fraternité und Liberté. Auch in Deutschland wurde der Tanz sehr beliebt, weil es ein immer breiteres Bürgertum gab, die Lust auf neue Tänze hatten. So entstanden damals plötzliche eine Menge Lehrbücher zur Anglaise und zwei davon gab es im Alten Land, südlich von Hamburg, genannt „Noten und Tuhren Buch“ von 1791 und 1792. Sie waren im Familienbesitz der Bauernfamilien Peter Vollmer und Peter Meyer und demonstrierten sehr deutlich den Anspruch einer vermögenden Schicht in der Landbevölkerung, teilzuhaben an den damaligen Gesellschaftstänzen der bürgerlichen Gesellschaft. Ein sehr schönes Buch mit diesen Tänzen und dem Titel „Die Altländer Noten- und Tourenbücher von 1791 und 1792“ herausgegeben von Hinrich Behr und der Kulturstiftung Altes Land im Jahre 2009 gibt es immer noch neu zu kaufen.
Aus diesem Buch habe ich die Anglaise Nr. 9 ausgewählt, weil der Tanz eine schöne Melodie hat und relativ einfach in größeren Gruppen zu tanzen ist. Vor einigen Jahrzehnten wurde die Melodie mit einer neuen Choreographie versehen, u.a. mit der Wicklerfigur „Fenster“ aus den Ländlertänzen Süddeutschland und der Komponist Heinz Lau ergänzte einen C-Teil.
Unter dem Namen „Das Fenster“ ist der Tanz in Volkstanzkreisen sehr populär geworden.
Generell jedoch haben sich die Englischen Tänze nicht in den deutschen Volkstänzen erhalten. Es war eine Modewelle, die Mitte des 19. Jh zu Ende ging und es gibt kaum überlieferte Volkstänze in Deutschland, die mit zwei Reihen, also einer Gasse getanzt werden. Besser erhalten haben sich im Volkstanz die Contredanse francaises oder Quadrillen, bzw. Cotillon genannt, also die Vierpaartänze im Quadrat, aber das ist ein anderes Thema.
Hier ist die Beschreibung des Originaltanzes zur Melodie des Altländer Nr. 9.
Die englischen Tänze in Deutschland hatten keine Melodien aus England, sondern wurden getanzt zu Neukompositionen heimischer Musiker hier in Deutschland und sie hatten auch keine einheitliche Taktform, sondern es gab sie im 3/8-Takt oder im 2/4-Takt.
Zu den Schrittarten der englischen Tänze steht bei den meisten Beschreibungen nichts, aber mit Wechselschritten und/oder Gehschritten kann man die Tänze eigentlich recht gut tanzen, wenn auch die genaue Interpretation schon in Richtung
historischer Tanz geht und viel Übung verlangt. Das Tempo sollte maßvoll gehalten sein und nicht gehetzt. So löste im 19. Jh die Ecossaise mit einem etwas schnelleren Tempo die Anglaise ab und aus Ecossaisen-Walzer am Ende einer Ecossaise entstand der auch heute noch bekannte Schottisch-Paartanz. Damit hat man gewisse Anhaltspunkte für das Tanztempo einer Anglaise.
Die Tanzfiguren, bzw. Tanzteile wiederholten sich oft in unterschiedlichen Choreographien und die Musik war – bis auf die Taktzahl – austauschbar, so dass einige Tanzmeister damals dazu übergingen, vor einem Tanzabend neue Tänze zu arrangieren. Dazu gab es Kärtchen mit den Tanzfiguren, die dann einfach in einer Mappe neu sortiert wurden.
Von daher kann man sich auch heute zum geselligen Tanzen bei dieser Figurenvielfalt einfach bedienen und je nach Niveau der Tänzerinnen und Tänzer einen Tanz zusammenstellen. Weitere hilfreiche Hintergrundinformationen geben sehr schöne Broschüren des Deutschen Bundesverbandes Tanz (DBT) in Remscheid, z.B. die Hefte „Modetänze um 1800“ von Elfriede und Karl-Heinz Lange, oder auch „Kontratänze“, u.a. von Karl Heinz Taubert und Roswitha Busch-Hofer. Diese Hefte und andere sind auch beim BVfDT erhältlich.
Viel Spaß mit dem Tanz des Monats und der damit verbundenen Gestaltungsfreiheit wünscht
Hinrich Langeloh