Liedempfehlung im November:
Und da nehm ich meine Büchse
Nein, das ist kein Jägerlied, sondern das eines Wildschützen, der verbotenerweise etwas tat, was seit dem Mittelalter hierzulande ein Vorrecht der Adligen war – zu jagen. Freie Jagd und Fischerei war 1525 eine Forderung der aufständischen Bauern. Erst 1848 wurde sie erfüllt. Empfohlen hat das Lied die Folkband Hüsch aus Jena, zu deren Repertoire es in einer eigenen Text- und Melodiefassung seit langem gehört.
(Autor: Wolfgang Leyn)
„Und so nehm ich meine Büchse“ kursiert in verschiedenen Versionen im ganzen Thüringer Wald. Jagd- und Wilddiebslieder haben in dieser Region naturgemäß eine lange Tradition, schrieb mir der vielseitige Musiker und Banjobauer Nico Schneider von Hüsch. Er ist in der kleinen Stadt Zella-Mehlis am Südhang des Thüringer Waldes aufgewachsen.
Auf einer Berghütte in der Nähe von Zella-Mehlis habe ich das Lied vor vielen Jahren vom Instrumentenbauer Frieder Schlütter zum ersten Mal gehört. Da auch viele meiner Vorfahren in Wald- und Wiesenberufen gearbeitet haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch sie das Lied kannten und gesungen haben.
Der aufmüpfige Wilddieb im Lied, der über die Autorität der Jäger spottet, ist ein gutes Beispiel für die Mentalität des „Wäldlers“, die sich bis zum heutigen Tag nicht groß geändert hat. Anstatt sich heimlich zu bewegen, steckt er sich auch noch die Feder an den Hut, als Symbol seiner Kühnheit. Wirklich klug war das natürlich nicht, denn die meisten dieser „kühnen“ Waldmänner landeten am Ende hinter Gittern. Mein jagender Großvater kam übrigens aus „Kühndorf“…
Nico Schneider
LIEDGESCHICHTE
„Das edle Jägerleben vergnüget meine Brust“ und „Gar lustig ist die Jägerei allhier auf grüner Heid“. Beide Zeilen stammen aus beliebten Volksliedern. Und doch haben sie mit dem Leben des einfachen Volkes denkbar wenig zu tun. Denn das „fröhliche Jagen“ war hierzulande seit dem Mittelalter ein Vorrecht des Adels. Mit dem „Jäger aus Kurpfalz“ war vermutlich Pfalzgraf Johann Casimir (1543-92) gemeint. Einst durfte jedermann jagen, um sich mit Nahrung zu versorgen, um Felder und Nutzvieh vor Wildschäden und Raubtieren zu schützen.
Jagd als höfisches Zeremoniell
Nun behielten sich Feudalherren die „hohe Jagd“ vor, also auf Hirsche, Gemsen, Wildschweine, Bären, Wölfe oder Luchse. Bauern und Bürgern war bestenfalls die „niedere Jagd“ erlaubt, auf Rehe, Hasen, Füchse oder Federwild. Etwa seit dem 15. Jahrhundert wurde die Jagd zum festen Bestandteil des höfischen Lebens. Davon zeugen u. a. Jagdschlösser wie Moritzburg bei Dresden, Hubertusstock in Brandenburg, Granitz auf Rügen oder die Jagdanlage Rieseneck in Thüringen. Bauern mussten bei adligen Jagdvergnügen Frondienste leisten. Vielfach war ihnen sogar verboten, das Wild von ihren Feldern vertreiben. Im Deutschen Bauernkrieg stand 1525 die Forderung nach freier Jagd in den berühmten „Zwölf Artikeln“ an vierter Stelle. Nach der Niederlage der Bauern blieb das adlige Privileg aber bis zur bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 bestehen.
Wildschützen als Volkshelden
Wilddiebe, auch Wildschützen genannt, wurden von den einfachen Leuten oft als mutige Rebellen verehrt. Horst Traut schreibt dazu in seiner Liedersammlung „Hallodri“ aus dem Thüringer Wald: „Von der Obrigkeit mit drastischen Strafen belegt, galt das Wildern in den heimischen Wäldern – ebenso wie der Holzdiebstahl – für die Bevölkerung nicht als Delikt oder gar Verbrechen, sondern eher als erzwungene Form der Ausübung eines Rechts, das den Bauern und Waldbewohnern von den Landesfürsten geraubt worden war“. Aus der Rhön ist überliefert, dass man dort Ende des 19. Jahrhunderts einen Jäger, wenn er ins Dorfgasthaus kam, damit ärgerte, dass man dasLied über den bayerischen Wildschützen Jennerwein (1852-77) anstimmte.
Das Wildschützenlied „Und so nehm ich meine Büchse“ war in den 1950er Jahren im Thüringer Wald weitverbreitet. Im „Deutschen Liederhort“ von Erk und Böhme (1893/94) finden sich mehrere Fassungen, die ältesten von 1854 aus Hildburghausen und Hessen. Wolfgang Steinitz nahm das aufmüpfige Lied 1954 in seine „Deutschen Volkslieder demokratischen Charakters“ auf. Auch im Eichsfeld war es verbreitet, ebenso im Harz, wo noch in den 1970er Jahren mehrere Varianten aus der mündlichen Überlieferung aufgezeichnet wurden. Während des Deutschfolk-Revivals wurde es von Zupfgeigenhansel im Westen und Kantholz im Osten aufgegriffen. Apropos: Wilderermuseen gibt es in Gehlberg und Schmiedefeld am Rennsteig (beide Thüringen).