August 2022
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Liedempfehlung im August:

Frisch auf ins weite Feld

Heute ist ein Wanderlied an der Reihe: „Frisch auf, ins weite Feld“, Titelsong der ersten AMIGA-Folk-LP von 1980. Die Leipziger Band Folkländer hat das Lied aus mehreren Fassungen zusammengepuzzelt, erinnert sich Jürgen B. Wolff. Das Lied ist weit weniger bekannt als „Es, es, es und es“ oder „Auf du junger Wandersmann“, aber nicht weniger schön. 
(Autor: Wolfgang Leyn) 

Es gab eine Zeit, lang ist’s her, da waren Handwerksgesellenlieder – ähnlich wie kritische Soldatenlieder oder Deftig-Zotiges – in den Repertoirelisten der Folkbands West und Ost hyperpräsent. Warum das im Westen so war, weiß ich nicht. Die durften ja überallhin, wo wir nicht hin durften. Womit sich erklärt, warum WIR solche Lieder sangen – nicht nur eines, nein, noch eins und noch eins – die Liedtitel lassen sich just litaneiartig aneinanderhängen: ‚Es, es, es und es‘, ‚Es waren drei Gesellen‘, ‚Unser Handwerk ist verdorben‘, ‚Bruder Anton‘, ‚Der Winter ist gekommen‘, ‚Auf, du junger Wandersmann‘, ‚Der Montag, der Montag, der muss gefeiert werden‘ und kein Ende, höchstens zum Verschnauf eine Karo und ein Tablett ‚Pfeffi‘. 
Jürgen B. Wolff 

AMIGA 8 35 189, LP-Cover von Jürgen B. Wolff (1980)

„Frisch auf ins weite Feld“ mit der eigentlich ganz unverdächtige Textstelle „ein wohlgereister Mann, der in der Welt gewesen ist“ erinnerte an die sehr viel kleinere Welt, die damals für DDR-Bürger zugänglich war. Veröffentlicht hat Folkländer das Lied 1980 in seiner „Kleinen Reihe deutsche Volkslieder“. Im selben Jahr brachte die Plattenfirma AMIGA die erste DDR-Folk-LP heraus. Der Sampler mit Rundfunkaufnahmen von FolkländerWacholderPiatkowski & RieckFolkloregruppe der EOS Neuhaus und Gruppe Plus trug den programmatischen Titel „Frisch auf ins weite Feld – Junge Leute machen Volksmusik“. 

Der Frage, ob’s heute putzt, solche Lieder nochmal rauszuholen, weiche ich am liebsten aus. Romantik geht mittlerweilen anders, auch wenn manchmal noch ein Gesell in voller Montur an der Raststätte den Daumen hebt. 
Jürgen B. Wolff 

In diesem Fall teile ich Jürgens Skepsis nicht, sondern empfehle das Lied ausdrücklich weiter. Welt kennenlernen lässt sich ja heute auf verschiedenste Weise, auch mit wenig Geld (und wenig Umweltverschmutzung). Stichwort Austausch-Schuljahr, Stichwort „Work and Travel“. Fürs Singen beim Wandern, in der Schutzhütte, auf dem Campingplatz oder am Lagerfeuer an irgendeinem Strand dieser Welt eignet sich des Lied hervorragend, finde ich. 

Frisch auf ins weite Feld!
Zu Wasser und zu Lande
Ist mir mein Sinn gestellt,
zu reisen und zu wandern
von einer Stadt zur andern,
solang es mir gefällt.

Ein wohlgereister Mann,
der in der Welt gewesen ist,
der etwas weiß und kann,
von dem ist viel zu halten
bei Jungen und bei Alten,
ich selbst halt‘ viel davon.

Jetzt ist es an der Zeit,
wenn einer ausgelernet hat,
dann will er hab’n ein Weib.
Ein Weib zu nehmen, ist nicht recht,
er ist kein Meister, ist kein Knecht.
Ein Stümper muss er sein.

Ihr Jungfern insgemein,
freit euch kein‘ Junggesellen,
die nicht gewandert sein
in ihren jungen Jahren
und haben nichts erfahren,
wie Muttersöhnchen sein.

Ihr Jungfern insgemein,
freit euch nur Junggesellen,
die brav gewandert sein
in ihren jungen Jahren
und haben stets erfahren,
was brave Burschen sein.

LIEDGESCHICHTE

Abgedruckt ist das Lied in Erk/Böhmes „Deutschem Liederhort“ von 1894. Zum ersten Mal veröffentlicht wurde es aber schon 1842 in der Sammlung „Schlesische Volkslieder“, herausgegeben von Heinrich Hoffmann von Fallerleben und seinem Freund Ernst Richter. 

Fast 140 Jahre später entdeckte die Folkszene, dass zum deutschen Volksliedschatz weit mehr gehört als Heidenröslein und klappernde Mühlen am rauschenden Bach. Zum Beispiel die deftigen, nicht selten rebellischen Lieder der Handwerksgesellen. Diese selbstbewussten, trink- und rauflustigen jungen Männer waren „wohlgereist“, auch weil sie es sein mussten. Denn bevor sie ihre Meisterprüfung ablegen und heiraten durften, hatten sie nach den Vorschriften der Zünfte erst eine mehrjährige Wanderschaft mitsamt Lehrzeit bei verschiedenen Meistern zu absolvieren. 

Folkländer im Jahr 1980 (Foto: Stefan Gööck)

Im 19. Jahrhundert gehörten Handwerksgesellen zu den Mitbegründern der sozialistischen Bewegung in Europa. 1835 schlossen sich deutsche Schneidergesellen in Paris zum Bund der Gerechten zusammen. 1840 verlegte der seine Zentrale nach London. Dort entstand daraus 1847 der Bund der Kommunisten. 1848 standen dann auch viele Handwerksgesellen auf den Barrikaden der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland. 

Zu Folkländers Liedfassung von „Frisch auf ins weite Feld“ schreibt Jürgen Wolff: 

Heft-Cover von Jürgen B. Wolff (1980)

In unserer ‚Kleinen Reihe deutsche Volkslieder – Heft 3: Gesellenlieder‘ sind 18 Lieder abgedruckt. Es hätten mehr sein können, aber das Papier war rationiert. Gleich das zweite im Heft ist ‚Frisch auf ins weite Feld‘, von dem es – wie meist – etliche Varianten gab, weshalb wir’s originell fanden, Strophen aus mehreren Quellen zusammenzupuzzeln: den legendären ‚Schlesischen Volksliedern‘ von Hoffmann und Richter, den ‚Deutschen Volks- und Gesellschaftsliedern‘ und den ‚Fränkischen Volksliedern‘ vom umtriebigen Freiherrn von Ditfurth. Überhaupt die großen manischen Liedersammler des 19./20. Jahrhunderts – eine Riege klangvoller Namen, die uns weiland engumschlungen begleitete: Ludwig Erk, Karl Magnus Böhme, Oskar Schade, Gustav Jungbauer, Louis Pinck oder Hans Ostwald, der die Verhandlungsmasse des Gesellen- und Streunerliedes mit „Lieder aus dem Rinnstein“ treffend auf den Punkt brachte. 

Klangbeispiel

Folkländer 1980 („Frisch auf ins weite Feld – Junge Leute machen Volksmusik“, AMIGA)