Februar 2022
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Liedempfehlung im Februar (Wolfgang Leyn / Max Heckel):

Der Mond ist aufgegangen

Das Abendlied von Matthias Claudius, verfasst im Jahr 1799 nach dem Vorbild von Paul Gerhardts „Nun ruhen alle Wälder“, ist das meistgedruckte deutsche Gedicht. Es wurde vielfach vertont und mindestens genausooft parodiert. Mit der Melodie von Johann Abraham Peter Schulz wurde es zum Kirchenlied und zum Gute-Nacht-Lied für Kinder. 
Im deutsch-deutschen Folk-Revival der 70er Jahre spielte es kaum eine Rolle. Zu bekannt, zu fromm. Es eignete sich weder zur musikalischen Begleitung sozialer Bewegungen in der alten Bundesrepublik, noch ließen sich damit engstirnige Funktionäre in der DDR provozieren. (Autor: Wolfgang Leyn) 

Max Heckel (Foto: Susann Schröder)

Max Heckel von der Band Nobody knows aus Tangermünde bezeichnet es als sein Lieblingslied. Ihn erinnert es an das gemeinsame Singen mit den Eltern. Als kleiner Junge versteckte er sich bei traurigen Liedern unter dem Tisch, damit niemand sehen sollte, dass er weinte. Der zweistimmige Gesang seiner Eltern „hatte etwas Wundervolles“, schreibt er. 

„‘Der Mond ist aufgegangen‘ ist mir dabei besonders in Erinnerung. […] Die sehnsüchtelnd eingängige Melodie ruft noch heute kindliche Erinnerungen in mir hervor. Und der Text? Der ist ziemlich stark. Bis auf den abschließenden Reim. Der grenzt an Dilettantismus. Aber das ist schwer in Ordnung. Sonst hätte ich mich auch bei diesem Lied unter dem Tisch verstecken müssen“. 

Geliebt und parodiert
Die Popularität eines Gedichts oder Liedes lässt sich daran erkennen, wie oft es parodiert wird. Der Hamburger Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008) tat es 1962 folgendermaßen: 

„Der Mond ist aufgegangen.
Ich, zwischen Hoff- und Hangen,
rühr an den Himmel nicht.
Was Jagen oder Yoga?
Ich zieh die Tintentoga
des Abends vor mein Angesicht.“

Der Kölner Dieter Höss (1935-2020) dichtete nach der Mondlandung von 1969 ein „Lied des Astronauten“ mit dieser ersten Strophe:

„Der Mond ist eingefangen,
von Sonden schon begangen,
von Fotos wohlvertraut.
Das All steht schwarz und schweiget,
doch aus Raketen steiget
schon hie und da ein Astronaut.“

Ein umweltbewegtes Abendlied verfasste 1973 der hessische Autor Karlhans Frank (1937-2007). Es beginnt so:

„Der mond ist aufgegangen,
die goldnen sternlein prangen,
mein freund, du siehst es nicht,
weil aus profitfabriken
die menschen nebel schicken,
gefährlich, giftig, stinkend, dicht.“

Der Ostberliner Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel schrieb eine bitter-schwarze Textfassung für die „Hammer-Rehwü“, mit der das Liedtheater Karls Enkel, die Folkband  Wacholder und das Liedermacher-Duo Dieter Beckert und Karl-Heinz Schulz 1982/83 durch die DDR tourten. Hintergrund war die Beunruhigung durch die atomare Hochrüstung von NATO und Warschauer Vertrag. 

„Die Sonn wird aufgehangen
an langen Zauberstangen
am Himmel, ist doch klar.
Die Welt steht da und schweiget.
Und auf der Haut, da zeiget
Sich gelber Ausschlag wunderbar.“

Der Humorist Axel Hacke verdankt Claudius‘ Abendlied den Titel seines 2004 erschienenen Bestsellers „Der weiße Neger Wumbaba“. Er zitiert das kindliche Missverständnis der Verse „…und aus den Wiesen steiget / Der weiße Nebel wunderbar.“ 2010 benutzte der Kabarettist Dieter Hildebrandt das Gedicht für eine Persiflage des Redestils von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl

LIEDGESCHICHTE

Der holsteinische Dichter und Journalist Matthias Claudius (1740-1815) schrieb sein Abendlied nach der Vorlage von Paul Gerhardts „Nun ruhen alle Wälder“ aus dem Jahr 1647, übernahm dabei Strophenform und Reimschema, dazu „die goldnen Sternlein“ als wörtliches Zitat. 1779 wurde das Gedicht in Hamburg erstmals gedruckt, Herder veröffentlichte im selben Jahr eine gekürzte Fassung in der Sammlung „Volkslieder nebst untermischten anderen Stücken“.

Seitdem fehlt es in kaum einer deutschsprachigen Gedichtanthologie, wurde häufiger gedruckt als die Lyrik von Goethe, Schiller oder Heine. Mehr als 70mal wurde das Abendlied vertont, u. a. von Michael Haydn, Johann Friedrich Reichardt, Franz Schubert und Carl Orff. Durchgesetzt hat sich die Melodie von Johann Abraham Peter Schulz, 1790 erstmals gedruckt in der Sammlung „Lieder im Volkston, bey dem Claviere zu singen“.

Heute gehört „Der Mond ist aufgegangen“ zu den bekanntesten deutschen Liedern, fand im 19. Jahrhundert Eingang ins evangelische Kirchengesangbuch, 2013 auch in dessen katholisches Pendant. Die erste, zweite, dritte und letzte Strophe werden auch als Gute-Nacht-Lied gesungen. So steht das Lied auch im „Zupfgeigenhansl“, dem Liederbuch der Jugendbewegung. Die Deutschfolk-Szene hat es dagegen erst in den letzten Jahren für sich entdeckt. In deren Liederbüchern aus den 70ern fehlt es.

Weniger bekannt ist, dass das Abendlied schon 1838 ins Dänische übersetzt wurde. „Sig månen langsomt hæver, den gyldne stjerne svæver …“ steht in Gesangbüchern der Kirche wie der Heimvolkshochschule, es gibt eine Rock-Version mit der Band Nephew aus Aarhus.

Illustration von Ludwig Richter (1856), aus: „Vater Unser in Bildern“ (Quelle: Wikipedia)

Der deutsche Rockpoet Herbert Grönemeyer beendet mit „Der Mond ist aufgegangen“ gern seine Konzerte. 2015 erklang das Lied in der Trauerfeier für Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Im März 2020, zu Beginn des ersten Lockdowns, rief die Evangelische Kirche in Deutschland zum „Balkonsingen“ nach italienischem Vorbild auf. Jeden Abend um 19 Uhr möge das Abendlied von Matthias Claudius angestimmt werden.

Klangbeispiele
Nobody knows (2018) 
als Kinderlied (Website „Sing Kinderlieder“) 
Fritz Wunderlich (1930-1966) 
Zur Trauerfeier für Helmut Schmidt (2015) 
Hannes Wader (2015) 
Herbert Grönemeyer (2013) 
Jazzchor Freiburg (2018) 
Deutscher Evangelischer Posaunentag Dresden (2016) 
Nena (2019) 
Achim Reichel (2006) – LP „Volxlieder“ 
Punk-Version, Himmelskinder Berlin (2021) 
Dänisch:
Sig månen langsomt hæver, Phillip Faber & Pernille Rosendahl (dänisch) 
dänische Rock-Fassung Nephew – Aarhus – 18 – Sig Månen Langsomt Hæver (2021) 
Humor und Satire:
Schnaftl Ufftschick (2020) 
Hammer Rehwü Abendlied (1982) 
Dieter Hildebrandt, Rezitation als Helmut-Kohl-Parodie (2010) 
Instrumental:
Matthias Höfs, Trompete und Orgel (2022) 
Ulrich Bögershausen, Gitarre (2011) 
Quadro nuevo, instrumental (2019) 
Spieluhr