Liedempfehlung im April:
Zogen einst fünf wilde Schwäne
Angesichts von Russlands Überfall auf die Ukraine empfehlen wir gemeinsam mit der Gruppe Die Grenzgänger aus Bremen ein Friedenslied. Aufgezeichnet wurde das schlichte, schöne Volkslied am Anfang des 20. Jahrhunderts in Ostpreußen. Seit 1918 deutschlandweit bekannt, galt es lange als litauisch und hat Parallelen in einem russischen Volkslied und Pete Seegers „Where have all the flowers gone“.
(Autor: Wolfgang Leyn)
„Soll denn gar kein Frieden werden,
nimmt der Krieg denn noch kein End?
Unsre Länder sind verheeret,
Städt‘ und Dörfer abgebrannt,
Jammer überall und Not,
und dazu auch mehr kein Brot“.
Liedzeilen aus dem Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763. Man könnte meinen, sie wären über den Krieg heute in der Ukraine geschrieben. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren. Millionen sind auf der Flucht. Je länger die Kämpfe dauern, desto mehr werden es sein. Sie stehen vor unseren Türen. Um sie geht es täglich in den Nachrichten.
Doch vergessen wir nicht: Die Ernteausfälle in der Ukraine und in Russland verschärfen den Hunger im Nahen Osten und in Nordafrika. Und die Kriege in Äthiopien, in Syrien, in Jemen oder in Mali sind nicht weniger grausam als jener im Osten Europas. Verlierer sind fast alle Menschen auf dieser Erde. Gewinner sind allein die „Meister des Krieges“, wie sie Bob Dylan 1963 in seinem zornigen Lied nannte. Hans-Eckardt Wenzel hat es 2013 nachgedichtet. Die „Meister des Krieges“ sitzen in Regierungen und Generalstäben, in den Aufsichtsräten und Aktionärsversammlungen der Waffenfabriken. Der Tod ist ihr Geschäft. Gerade haben NATO und EU das größte Aufrüstungsprogramm seit 1945 beschlossen. Zugleich musste das UNO-Welternährungsprogramm aus Geldmangel die Essens-Rationen für acht Millionen Jemeniten um die Hälfte zu kürzen.
Was können wir tun? Solidarisch sein mit den leidenden Menschen und uns einsetzen für ein Ende des Krieges, der Kriege – auch musikalisch. Mit dem Lied „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ eröffneten Die Grenzgänger aus Bremen vor wenigen Tagen ein Benefizkonzert für die Menschen in der Ukraine. Michael Zachcial schreibt dazu:
„Das ist eines der schönsten deutschen Volkslieder, das ich kenne, und es enthält eine ganz klare Botschaft: Der Krieg tötet alles. Die Birken können nicht grünen, die Menschen nicht lieben, die jungen Männer werden alle sterben. Haltet diese Erinnerung wach! Für die nächste Generation, singt, was geschah, damit es nie wieder geschieht.“
LIEDGESCHICHTE
Wer das deutsch-deutsche Folkrevival der 70er Jahre miterlebte, hat sicher noch die Live-Aufnahme mit Hannes Wader im Ohr. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ wurde auch von Zupfgeigenhansel gesungen. Lange Zeit galt es als litauisches Lied. Der ostpreußische Volkskundler Karl Plenzat veröffentlichte es 1918 in seinem Buch „Der Liederschrein“ und machte es dadurch überregional bekannt. Sein Vater habe das Lied ins Deutsche übersetzt, teilte er mit. Doch heute weiß man, dass der deutsche Text schon 1908 durch den Lehrer Johann Patock in der Nähe von Danzig aufgezeichnet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Lied an der Küste zwischen Pommern und Ostpreußen gesungen. Die Herkunft der Melodie ist unbekannt.
Die Natursymbolik im Lied und das Trauma vieler Kriegsheimkehrer nach 1918 begünstigten die Verbreitung in den 20er Jahren. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ fand damals Eingang in die Liederbücher der bündischen Jugend, der Pfadfinder und Turner. Auch in den Anfangsjahren der Nazizeit wurde es noch gesungen, später wurde es still um das Lied. Nach dem zweiten, noch verheerenderen Weltkrieg wurde es wieder häufiger angestimmt, in beiden deutschen Staaten, von Schulkindern, Jugendgruppen und Chören, ebenso von Menschen, die ihre Heimat in Ostpreußen verloren hatten. In den 80er Jahren erklang es auf Demonstrationen und Kundgebungen der Friedensbewegung gegen die atomare NATO-Nachrüstung.
Sag mir, wo die Blumen sind
1955 schrieb Pete Seeger sein Antikriegslied „Where Have All the Flowers Gone“. 1962, mitten im Kalten Krieg, sang es Marlene Dietrich erstmals auf Deutsch. „Sag mir, wo die Blumen sind“, eine Nachdichtung von Max Colpet. Die inhaltliche und formale Nähe zum Lied von den wilden Schwänen ist offensichtlich. Doch die Anregung zu seinem Lied fand Pete Seeger nach eigener Aussage woanders, in einem Volkslied russischer Kosaken, das Michail Scholochow 1934 in seinem Roman „Der Stille Don“ zitierte:
А где ж гуси?
В камыш ушли.
А где ж камыш?
Девки выжали.
А где ж девки?
Девки замуж ушли.
А где ж казаки?
На войну пошли
Und wo sind die Gänse?
Sie liefen ins Schilf.
Und wo ist das Schilf hin?
Von Mädchen gemäht.
Und wo sind die Mädchen?
Verheiratet längst!
Und wo die Kosaken?
Sind fort in den Krieg!