Tanz des Monats Juni 2022:
Die Tyrolienne (Modetanz aus dem 19. Jahrhundert)
Pfingstfreitag in der Probstei, bzw. Vör Lammdal up’n Steen
Diese schöne Melodie wurde zuerst 1918 veröffentlicht von Anna Helms und Julius Blasche in ihrem Heft „Bunte Tänze Nr. 2“ mit dem Kommentar:
„Pingsfridag in de Probsti“ wurde auf Festen getanzt, die früher zur Erinnerung an die am Freitag vor Pfingsten erfolgten Ankunft hessischer Siedler begangen wurden. Auf Veranlassung des Probstes von Preetz kamen sie seinerzeit aus dem Hessenland in die Probstei und wurden von den Probsteiern feierlich eingeholt. Der Tanz wir heute nur noch als langsamer Walzer getanzt. Die bunten Formen sind vermutlich im Laufe der Zeit verloren gegangen …“
Die Probstei ist eine Region in Schleswig-Holstein, östlich von Kiel und nördlich von Plön.
1921 wurde diese Melodie – allerdings ohne den D-Teil – auch von Wilhelm Stahl in seiner Sammlung „Niederdeutsche Volkstänze“ veröffentlicht, wobei Stahl die Melodie „Vör Lammdal up’n Steen“ nannte. Auch er vereinnahmt die Melodie als langsamen Walzer und schreibt dazu:
„Nach einer Mitteilung des Musikdirigenten Wilhelm Schröder in Gleschendorf bei Hohenfelde soll dieser von ihm aufgezeichnete Tanz in alten Zeiten von einem Musiker auf einem Stein vor der Koppel „Lammdal“ in der Probstei gespielt worden sein und daher seinen Namen erhalten haben. Die beiden ersten Teile ohne nähere Bezeichnung stehen auch in einem um 1835 geschriebenen Notenheft aus dem Lauenburgischen.“
Anna Helms schlägt vor, anstatt des langsamen Walzers eine Tyrolienne zu tanzen, bzw. sie hat diese Mazurka-Walzer-Tanzform aus dem 19.Jahrhundert auf die Melodie draufgesetzt.
„Zwei stark verbreitete Abarten der Mazurka bilden der Warschauer und die Tyrolienne. Letztere besteht aus einer Zusammensetzung von einer Ländler-, bzw. offenen Walzer-Figur mit der typischen Mazurka-Figur.“
(Aenne Goldschmidt Handbuch des Deutschen Volkstanzes)
„Tyrolienne (Jägerschottisch, Tiroler Ländler) ist eine französische Nachahmung des Ländlers. Sie unterscheidet sich in ihren Bewegungen von der Polka und vom Schottisch nur dadurch, dass sich ihre drei Tanzschritte nicht auf zwei Viertel, sondern gleichmäßig auf drei Taktteile des Dreivierteltaktes verteilen. Die Bewegung soll dabei nicht hüpfend, sondern wiegend sein. Die Tyrolienne ist über Paris in den deutschen Gesellschaftstanz des 19. Jh. gelangt. (s. Bayrisch Polka)“
(Tanzlexikon Otto Schneider 1984)
„§ 820 In manchen Gegenden ist dieser Tanz unter dem Namen Jäger-Schottisch oder Jägerpolka bekannt. Wie er zu diesem Namen gekommen ist, lässt sich ebenso schwer mit Bestimmtheit erklären, als die Entstehung so vieler anderer Tanz-oder Schrittnamen. Diese Benennung scheint in Berlin aufgekommen zu sein. Damals standen daselbst noch die Neuschateller Jäger, meistentheils hübsche, junge Leute, die in ihrer kleidsamen Uniform sehr gefielen. Irgend ein flotter Tänzer unter ihnen machte die Schritte auf ungewöhnlich anmuthige Weise, seine Kameraden suchten ihm es nachzumachen und die jungen Tänzerinnen nannten den Tanz Jägerpolka oder Jäger-Schottisch, wodurch sich die Benennung verbreitete. Wahrscheinlich ist dies die wahre Geschichte dieses Namens.“
(F.A. Zorn Grammatik der Tanzkunst 1840)
Am Namen wird deutlich, dass der Tanz in der Zeit der Romantik mit der Verherrlichung des Landlebens aufgekommen ist und natürlich in Paris ersonnen wurde und mit einem französischen Namen in Tirol und Deutschland populär wurde. So ist es mit vielen Tänzen abgelaufen, dass sie erst mit einem französischen Namen bei uns populär wurden. Eine einfache Ländler-Mazurka hätte das nicht so geschafft. Letztlich aber ist die von Anna Helms genannte Tanzform mit einigen Walzer-Ergänzungen und eventuellem Partnertausch eine schöne Alternative zu der französischen Balfolk-Mazurka. Weitere Hintergrundinformationen hat Wolfgang Schlüter von der LAG Tanz in Schleswig-Holstein zusammengetragen. Hier herunterzuladen als pdf.
Ich habe hier zwei Einspielungen von norddeutschen MusikerInnen. Einmal ist es eine kurze Einspielung der LAG Tanz Schleswig-Holstein von der CD zum Tanzbuch „Göös op de Deel“ von 2004. Diese Aufnahme enthält alle vier Teile der Melodie. Hier anzuhören als mp3.
Das Tanzbuch „Göös op de Deel“ mit CD sollte noch bei der LAG Tanz S-H erhältlich sein. Desweiteren gibt es eine Aufnahme der Gruppe „hans dans“, die länger ist, aber ohne den D-Teil nach der Vorlage von Wilhelm Stahls „Vör Lammdal up’n Steen“. Hier anzuhören als mp3. Die wunderbare Band gibt es leider nicht mehr, aber die schöne CD „Folksdans & Kandidel“ sollte noch erhältlich sein.
Als Video zur Tanzform der Tyrolienne gibt es eine sehr schöne Rekonstruktion der „Tyrolienne de L’Academie“ von 1885 von Sylvia Hartung aus dem Jahre 2020. Sie zeigt eine Menge möglicher Tanzfiguren für ein Tyrolienne und sie ist zu finden bei Youtube unter:
Anbei zwei Aufnahmen des Stückes: