Liedempfehlung im März:
So treiben wir den Winter aus
Keine andere Jahreszeit wird so freudig begrüßt wie das Frühjahr. Mit Liedern und Bräuchen. Heute empfehlen wir ein Lied aus dem 16. Jahrhundert, das verbunden ist mit dem Brauch des Winteraustreibens oder Todaustragens. Dabei wird der Winter, gleichbedeutend mit dem Tod, am Ende eines zeremoniellen Umzuges verbrannt oder im Fluss ertränkt.
(Autor: Wolfgang Leyn)
Das Duo Erledanz aus Ansbach in Franken hat das Lied „So treiben wir den Winter aus“ seit langem im Programm. Henrike und Klaus Eckhardt nahmen es auch in ihr Liederbuch “ Hör an mein Stimm. Wiederentdeckte Volkslieder“ auf. Die beiden schrieben mir dazu:
„Es ist eines unserer kraftvolleren Stücke, denn der Winter wird hier nicht freundlich zum Gehen aufgefordert, um dem Frühling Platz zu machen, sondern aus der Stadt gejagt, wie es in alten Zeiten und mancherorts auch heute noch am 4. Sonntag der Fastenzeit (Laetare) bzw. am sogenannten Mitterfasten Brauch war. In Nürnberg zum Beispiel, unweit unseres Wohnortes, wird jährlich zu diesem Zeitpunkt dieses Spektakel dargeboten. […] Der arme Winter wird nicht nur verjagt, sondern zu Tode gehetzt. Doch nach unserer Erfahrung wird er wiederkommen. Wenn auch in Zeiten des Klimawandels nicht mehr ganz so zuverlässig wie im 16. Jahrhundert, als dieses Lied ersonnen wurde.“
LIEDGESCHICHTE
Früher empfanden die Menschen das Frühjahr als Kampf zwischen Sommer und Winter. Sie konnten das Ende von Kälte und langer Dunkelheit, oft auch verbunden mit Hunger und Not, kaum erwarten. Das erklärt die große Verbreitung des Winteraustreibens in verschiedenen Regionen Deutschlands und bei unseren slawischen Nachbarn.
Noch im 19. Jahrhundert wurde der Frühlingsbeginn in der Mitte der Fastenzeit gefeiert, am Sonntag Laetare („Freue dich“ – auf die Auferstehung Jesu Christi). Namen und Zeremoniell unterscheiden sich von Ort zu Ort: Winteraustrieb, Sommertagszug, Todaustragen, Stabaus-Fest, Sommergewinn. In Eisenach oder Heidelberg steht der Wettstreit zwischen Sommer und Winter im Mittelpunkt, an anderen Orten das Zerstören, Ertränken oder Verbrennen der Strohpuppe, die den Winter darstellt, am Ende des festlichen Umzuges. Fast überall aber erklingt dabei das Lied „So treiben wir den Winter aus“.
Entstanden ist der Brauch des Winteraustreibens wohl aus vorchristlichen Frühlings- und Fruchtbarkeitsfesten. Durch die Pestepidemie um die Mitte des 14. Jahrhunderts, den „Schwarzen Tod“, erhielt das Todaustragen dann eine zusätzliche Bedeutung. Während der Reformationszeit wurde die offenbar weitverbreitete Melodie des Liedes „So treiben wir den Winter aus“ für geistliche Umdichtungen benutzt:
„Nun treiben wir den Papst hinaus
aus Christus Kirch und Gotteshaus!
Darin er mördlich hat regiert
und unzählig viel Seel’n verführt…“
(Flugblatt, Wittenberg 1541)
Das reformatorische Kampflied wurde in mehrere evangelische Gesangbücher aufgenommen. Eine Spur davon findet sich noch in der jahreszeitlichen Fassung, wie sie auch Erledanz singt. Hier endet die 1. Strophe so: „…mit sein’m Betrug und Listen, den rechten Antichristen“. Ganz sicher hat die geistliche Umdichtung des Liedes dazu beigetragen, dass seine schöne Melodie erhalten geblieben ist.
Aktuelle Umdichtungen – „So treiben wir Corona aus…“ – entstanden unabhängig voneinander an mehreren Orten, so an der Montessori-Schule Vilshofen im Bayerischen Wald oder in Leipzig bei der „Gartenzaunmusik“, veranstaltet von Mitgliedern des MDR-Sinfonieorchesters. In Zwickau aktualisierte Matthias Weber das Lied im März 2020.
Klangbeispiele
http://deutschfolk.de/audio-dateien/Erledanz_Winteraustrieb.mp3
Erledanz, Ansbach/Franken