Liedempfehlung im Januar (Wolfgang Leyn / Heidi Ruppel):
Es saß ein klein wild Vögelein
Die Wurzeln dieses siebenbürgischen Volksliedes reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Die Jugendbewegung machte es um 1900 populär. In den 1970ern erlebte es sein Comeback in beiden deutschen Folkszenen. Als Appell zur Aufrichtigkeit und gegen das Sich-Verbiegen-Lassen ist es zeitlos gültig. Und nach wie vor beliebt. So wird es auf der CD „Von der Quelle bis zur See“ von Bube Dame König (Halle) zu hören sein, die 2022 erscheinen soll. Es gibt auch rockige Versionen des Liedes. Und man kann es sogar tanzen (siehe unten).
In der Bundesrepublik nahmen Hein & Oss aus Pirmasens das Lied vom kleinen wilden Vöglein 1977 in ihre Sammlung „Das sind unsere Lieder“ auf. Ein Jahr zuvor hatte es Fiedel Michel aus Münster für den Live-Sampler „Volkslied ’76“ eingespielt, Elster Silberflug aus Heidelberg brachten es schon 1974 auf Platte. 1978 fand es Eingang in das weitverbreitete Liederbuch des Duos Zupfgeigenhansel aus Esslingen. In der DDR-Folkszene sangen es zum Beispiel die Ostberliner Band Skye und die Erfurter Gruppe Brummtopf. Ekkehard Schleußner von der Ostberliner Band Asthma lernte die siebenbürgische Mundartfassung Anfang der 1980er Jahre während eines Rumänien-Urlaubs kennen (und kann sie noch heute auswendig).
Heidi Ruppel gehörte 1975 zu den Gründungsmitgliedern von Brummtopf, später wechselte sie zu Saitensprungund spielte bis zu ihrem Umzug in ein brandenburgisches Dorf 2006 bei Saitensprungs Tanzband. Heute musiziert sie in einem Damenquartett. In den 70ern dominierte auch in der DDR-Szene Irish Folk. Heidi erinnert sich:
„Das kleine Wildvögelein war eines der ersten deutschen Volkslieder, welches wir in der Anfangszeit der Gruppe Brummtopf zu Gehör gebracht haben. In DDR-Zeiten sprach uns der Text aus dem Herzen. Es war ein Aufruf gegen das Sich-Verbiegen-Lassen und für Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit. In diesem Sinne hat es seine Aktualität über die Zeiten hinweg seit seiner Entstehung nie verloren.“
TEXT
Es saß ein klein wild Vögelein
auf einem grünen Ästchen.
Es sang die ganze Winternacht,
die Stimm‘ tät laut erklingen.
O sing mir doch, o sing mir doch,
du kleines wildes Vöglein!
Ich will um deine Federchen
dir Gold und Seide winden.
Behalt dein Gold und dein‘ Seid,
ich will dir nimmer singen.
Ich bin ein klein wild Vögelein,
und niemand kann mich zwingen.
Komm du herauf aus diesem Tal,
der Reif wird dich auch drücken.
Drückt mich der Reif, der Reif so kalt,
Frau Sonn wird mich erquicken.
LIEDGESCHICHTE
1865 veröffentlichte der siebenbürgische Lehrer Friedrich Wilhelm Schuster das Lied „Et sâs e klî wält fijeltchen“ aus mündlicher Überlieferung in Mühlbach (heute: Sebes, Rumänien). Es handelt sich um eine verkürzte Variante der seit dem frühen 16. Jahrhundert nachweisbaren Ballade „Nachtigall als Warnerin“. 1893 übertrug Franz Magnus Böhme den mundartlichen Text ins Hochdeutsche. So erschien das Lied dann in dem gemeinsam mit Ludwig Erk herausgegebenen „Deutschen Liederhort“. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es durch die Jugendbewegung popularisiert und in zahlreichen Gebrauchsliederbüchern abgedruckt, so 1913 in Hans Breuers „Zupfgeigenhansl“. Seit den 50er-Jahren stand es in Schulliederbüchern beider deutscher Staaten, ehe es vom Folkrevival der 1970er aufgegriffen wurde.
Liedermacher haben später neue Texte auf die überlieferte Melodie verfasst wie 1979 in der Bundesrepublik Jürgen von den Kölner Straßenmusikern oder 1980 Reinhold Andert in Berlin/DDR.
(Text: Wolfgang Leyn für www.ostfolk.de)
Klangbeispiele
http://folkstanz.in-berlin.de/taenze/sammlung/paar.shtml
Anleitung zum Mazurka-Tanzen nach „Es saß ein klein wild Vögelein“
https://grendelssyster.bandcamp.com/track/wildv-gelein
Metal-Folk mit Grendel’s Sÿster (Stuttgart/Baden-Württemberg)